Gesendet: Donnerstag, 10. Februar 2014 um 22:42 Uhr
Von: „Wilhelm Groß“ wilhelm.gross.artstetten@gmx.at
An: wilhelm.gross.artstetten@gmx.at
Betreff: Verabschiedung unseres Pöbringer Schulleiters
Artstetten, den 10. Feber 1914
Liebe Freundin, lieber Freund,
wir sind nun schon seit zwei Jahren in Artstetten.
Ich bin am 4. Februar 1912 angekommen und hab damals gleich einen guten Eindruck bekommen, wie ich zum Ball im Gasthaus Kienberger war. Der Saal war schön geschmückt, alles weiß gedeckt. Ich hab in meiner ersten E-Mail schon kurz davon erzählt.
Mein Mariechen mit unserem Willi und meiner Schwester Olga sind am 10. Februar nachgekommen.
Sie waren am Samstag früh von Sallingberg mit einem Landauer über Kottes nach Spitz gefahren und von dort mit der Bahn nach Klein-Pöchlarn, wo ich Sie Samstag nachmittags mit einer Kalesche abholte. Es war arges Tauwetter, die Straße schwamm im Schneewasser.
Da die Möbelwagen erst Sonntag nachmittags kamen, blieben meine drei Lieben im Gasthaus Kienberger, wo sie von Frau Theresia Kienberger recht bemuttert wurden.
Der Kutscher vom letzten Frachtwagen, den mir der Gastwirt Juster aus Salingberg zur Verfügung gestellt hatte, hatte Pech gehabt: Über den steilen Berg vor Pöggstall war der Wagen in ein zu schnelles Tempo gekommen und hatte umgeworfen, oben auf war die Wertheimer gefallen. Der Schaden war bedeutend. Der „Heinerl“ Weidenauer hatte Selbstmordgedanken; ich musste ihn trotz meines Schadens noch trösten.
Wir räumten am Sonntag noch fleißig die Wohnung ein und schliefen dann zum ersten Mal alle in Artstetten. In den nächsten Wochen war das Wetter günstig, der Schnee schmolz und bald war es trocken. Am 20. Februar blühten schon die ersten Veilchen.
Weil ihn viele von euch kennen, möchte ich euch noch über den Abschied unseres allseits verehrten Schulleiters in Pöbring, Franz Schischlik, berichten. Er trat mit 1. Jänner 1914 in den Ruhestand.
Eine Erkrankung zwang ihn, den nimmermüden Arbeiter für Gottes Jugend, Abschied zu nehmen. Von seinen 30 Dienstjahren verbrachte er die letzten 20 in Pöbring. Er war ein eifriger Mitarbeiter von Schulzeitungen und die meisten von euch kennen ihn durch sein weithin anerkanntes Werkchen „Zins- und Zinsesrechnung“. Er hat uns damit die Annuitäten- und Rentenrechnung aufgrund einer neuen Methode anschaulich erklärt.
Die Abgeschlossenheit des Ortes und die vielen Zurücksetzungen mögen wohl viel dazu beigetragen haben, ihn beinahe zum Misanthropen zu machen. Aus Fürsorge für seine Familie wird er seinen Lebensabend in Wien verbringen, wohin er schon Mitte November übersiedelte.
Wir hatten eine recht herzliche Abschiedsfeier mit seiner Frau und seiner Familie, dem Nachbarkollegen aus Weiten, allen Mitgliedern des Pöbringer Ortsschulrates und sonstigen Freunden.
Obwohl noch nicht so lange hier hielt ich ein paar Reden ernsten, aber vor allem heiteren Inhalts. Ich möchte hier unseren Zuruf wiedergeben:
Möge er vor allem wieder seine volle Gesundheit erlangen! Möge ihm ein langer und zufriedener Lebensabend zum Nutzen und zur Freude seiner lieben Familie gegönnt sein!
Ich schließe hier für heute.
Bin gespannt wie lange der Winter uns heuer festhält oder ob die ersten Frühlingsboten auch so bald kommen werden wie vor zwei Jahren. Vorerst ist es noch tief verschneit und kalt: Am Jauerling bei Schwallenbach hat es -3 Grad und 30 cm Schnee, die Ski- und Rodelbahn ist sehr gut.
In Mariazell ist es kalt bei -15 Grad und 100 cm Schnee, in Puchenstuben gar 150 cm. Die Schi- und Rodelbahnen sind sehr gut. In Puchenstuben gibt’s nächste Woche einen normalen Skikurs, in Mariazell einen norwegischen.
Ich hoffe, wir können euch heuer einmal nach Artstetten einladen, wo wir es uns schon recht schön eingerichtet haben. Darüber schreibe ich euch aber nächstes Mal.
In Verbundenheit!
Euer Wilhelm Groß
