Gesendet: Samstag, 25. Juli 1914 um 22:15 Uhr
Von: „Wilhelm Groß“ wilhelm.gross.artstetten@gmx.at
An: wilhelm.gross.freunde@gmx.at
Betreff: Unsere Heimat betrifft es nicht

Artstetten, 25. Juli (Heumonat) 1914

Liebe Freundin, lieber Freund,

In den letzten Wochen pulsierte reges Leben in Artstetten. Der bis vor kurzem ziemlich unbekannte Markt wird das Ziel vieler Reisenden.

Kürzlich traf ich einmal im Gasthaus Kienberger 2 freudig gestimmte ältere Herren, die mir erzählten, dass sie schon vor 30 Jahren Freunde waren. Das Schicksal führte sie auseinander, den einen in die französische, den anderen in die niederländische Fremdenlegion. Und hier in Artstetten hatten sie sich zufällig und nach langen Jahren wieder gefunden. Ein andermal trafen sich hier zwei Herren, die einander in Durazzo in Albanien gesehen, wo beide an der Einrichtung des Schlosses für den neuen König, Fürsten Wilhelm von Wied, gearbeitet hatten.

Schon seit der Ermordung des Thronfolgerpaares lag es wie ein „Alp“ auf den Völkern und die Meinung, das bedeute Krieg, wird von Tag zu Tag lauter.

Und endlich – vorgestern hat Österreich-Ungarn an Serbien eine Note (Ultimatum) mit 48-stündiger Befristung, betreffend die Umtriebe gegen die Monarchie und die Verfolgung der Mordanstifter von Sarajevo überreicht.

Wie man allerorts hört, ist man eigentlich nicht recht befriedigt, weil man beinahe befürchtet, Serbien wird in letzter Stunde sein Unrecht einsehen und den einzelnen Forderungen der Note zustimmen; auf diese Weise werde der gerechte, notwendige, ja ersehnte Krieg ausbleiben.
Und Serbien muss einmal gedemütigt, muss geschlagen werden, damit endlich einmal unser Vaterland von diesem Störenfried Ruhe zu seiner wirtschaftlichen Entwicklung erhalten wird.
Ja, als in den vergangenen Tagen Gerüchte von einer Annahme unserer Forderungen seitens Serbiens auftauchten, war das Volk erst recht nicht befriedigt.

O du verfluchte Zeitungshetzerei! –

Gestern abend um ½ 7 Uhr verließ unser Gesandter, Baron Giesl, Belgrad, da ihn die Antwort der serbischen Regierung nicht befriedigen konnte. Der Krieg ist nun unvermeidlich.

Heute erfolgten in der ganzen Monarchie begeisterte Kundgebungen.

Die teilweise Mobilisierung wurde angeordnet. Über welche Gebiete der Monarchie sie sich erstreckt war zunächst ein Geheimnis; doch soviel ist inzwischen bekannt, dass die bosnischen Corps (VIII und IX), das steirische (III), das XV. und XVI. (Bosnien und Dalmatien), sowie einige ungarische Corps mobilisiert werden.

Unsere engere Heimat ist also nicht betroffen!

In Verbundenheit!
Euer Wilhelm Groß

Quellenangaben für diese Nachricht:
Lebenslauf Wilhelm Groß