Gesendet: Montag, 17. März 2014 um 15:01 Uhr
Von: „Wilhelm Groß“ wilhelm.gross.artstetten@gmx.at
An: wilhelm.gross.artstetten@gmx.at
Betreff: Der Frühling kann kommen!

Artstetten, 16. März (Frühlingsmonat) 1914

Liebe Freundin, lieber Freund,

nach dem langen, frostigen Winter freuen wir uns alle über das wärmere Wetter, wenngleich die Anzahl der Sonnenstunden noch zu wünschen übrig lässt.

Zumindest können wir jetzt über die Suppenaktion im vergangenen Winter in der Schule Bilanz ziehen: An 33 Tagen wurden 2120 Portionen Einbrenn-Konservensuppe an unsere Schulkinder unentgeltlich – unter Subvention des n. ö. Landesausschusses – verabreicht, die meine Frau gekocht hat
Die Suppenaktion ist für die vielen oft unterernährten Kinder eine Wohltat – auch trägt sie wesentlich zu einem guten Schulbesuch bei.

Weil mich ein paar von euch gefragt haben, wie oft Erzherzog Franz Ferdinand in Artstetten ist, will ich euch kurz berichten:
Er war im Jänner 2 Tage hier, am 22. Februar zu einem Kurzbesuch und letzte Woche, am 4. März abermals. Also rund einmal jeden Monat.

Letzte Woche ist Erzherzog Franz Ferdinand behuft zur Disposition der Arbeiten im Park erschienen. Er hat außerdem der Heiligen Messe um 9 Uhr beigewohnt und ist abends Richtung Maria Taferl abgereist, wo er mit Dechant Dobner von Dobenau die renovierte Sakristei sowie die Kirche von innen und außen wegen den laufenden Renovierungs- und Trockenlegungsarbeiten besuchte.

Letztes Jahr zu Ostern, vom 2. bis 10. April, weilte Franz Ferdinand mit seiner Familie in Artstetten. Die 3 Kinder gingen in Begleitung von zwei recht altväterlich angezogenen Damen und einem Kammerdiener spazieren.

Franz Ferdinand ist unzugänglich; er weilt gern im Park, wo er jeden Baum und Strauch kennt.
Als er einmal bemerkte, wie sich ein Arbeiter ein grünes Zweiglein von einem Baum abbrach, sagte er: „Der Kerl ist zu faul, sich nach einem dürren Zweig zu bücken.“

Zum alten Haider sagte er einst (bald per Du, bald per Sie, je nach Laune): „Warum hast du diesen Ast abgeschnitten?“ „Weil die Spitzen dürr waren, kaiserliche Hoheit, und weil es nicht schön gewesen wäre, nur die Zweige abzuschneiden und den Stutzen stehen zu lassen.“ „Und warum hast du diesen Ast abgeschnitten?“ „Weil er dürr war“ – „Und warum diesen Ast?“ „Weil mir’s angeschafft worden ist, kaiserliche Hoheit,“ antwortete Haider, der schon verärgert war, und setzte gleich fort: „Wenn mir’s angeschafft worden wäre, hätte ich gleich einen ganzen Baum umgeschnitten.“.

Wie schon geschrieben, ist der Erzherzog unzugänglich. Dass ich aber mit meiner Eingabe an die erzherzogliche Kanzlei um einen Betrag zur Anschaffung von Lehrmittel – den ich natürlich patriotisch begründet habe – bisher erfolglos war, liegt wahrscheinlich an der falschen Information des Haushofmeisters Janaczek. Nachdem ich ihn abermals darauf angesprochen habe, sagt er mir nun, ich hätte bei einer anderen Kanzlei ansuchen sollen.
Euch im Vertrauen gesagt: Die gefährlichsten Menschen sind die Dienerseelen in der Umgebung hoher Herrschaften!

Einige von euch haben sich ja schon gemeldet und wollen uns heuer im Sommer in Artstetten besuchen. Den anderen werde ich in einem der nächsten E-Mails berichten, wie schön wir es uns inzwischen eingerichtet haben – ihnen sei jetzt schon gesagt: ein Besuch zahlt sich aus!

In Verbundenheit!
Euer Wilhelm Groß

Eine aktuelle Nachricht vom Wilhelm Groß Projekt
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Quellenangaben für diese Nachricht:
Lebenslauf Wilhelm Groß / Pfarrchronik Artstetten / Ybbser Zeitung vom 15.3.1914