Gesendet: Sonntag, 05. Juli 1914 um 11:14 Uhr
Von: „Wilhelm Groß“ wilhelm.gross.artstetten@gmx.at
An: wilhelm.gross.freunde@gmx.at
Betreff: Wie reich und doch so arm

Artstetten, 5. Juli (Heumonat) 1914

Liebe Freundin, lieber Freund,

wie reich und doch so arm! Ein reich vergoldeter und ein silbern glänzender Sarg – die letzte Wohnung.

Vor dem Eingange in den Park hatten gestern die Feuerwehren und die Mädchenvereine von Artstetten und Maria Taferl Aufstellung genommen. Die Ortsgeistlichkeit erwartete den Leichenzug. Nach kurzer Einsegnung wurden die schweren Särge zur Kirche getragen; an ihnen beteten nun Priester und Nonnen.

Um 8 Uhr 15 trafen Erzherzog Karl Franz Josef und Erzherzogin Zita ein, gleichfalls von obgenannten Vereinen und einigen einstweilen eingetroffenen Veteranenvereinen und Feuerwehren der Umgebung empfangen. Auch die Schuljugend unter Führung des Lehrkörpers hatte vor Beginn der Trauerfeier beim Zugang zur Kirche Aufstellung genommen. Zwischen 10 und 11 Uhr trafen die zahlreichen Trauergäste, Herren und Damen vom Adel und vom Offiziersstande in etwa 80 Autos ein.

Um 11 Uhr begann der Trauergottesdienst. Die Kirche war in eine Trauerhalle umgewandelt. Die großen Rundbogenfenster waren umflort, die Wände mit schwarzem Tuch behängt, ebenso die 3 Altäre. Drei aus silberweißen Borten aufgenähte Kreuze bezeichneten ihre Stelle. Alle Bänke waren schon belegt. Blattpflanzen und blühende Hortensien im Presbyterium sowie in den Ecken links und rechts vor demselben verwandeln den heute so düsteren Raum in eine Gartenanlage.

8 Paar Wappen mit den Aufschriften:

Franziscus Ferdinandus
Archidux Austriae
Estensis

MDCCCLXIII-MCMXIV

Sophie Ducissa de Hohenberg



MDCCCLXVIII-MCMXIV

zieren die schwarzen Wände; ein Paar ist auf dem Hochaltare angebracht. Rote Plüschpolster tragen eine goldene Krone, den Generalshut, dann die Orden des Erzherzogs; auf einem liegen weiße Handschuhe und ein schwarzer Fächer.

Die Einsegnung nahm Canonicus Dobner von Dobenau, Pfarrer und Dechant von Maria Taferl vor. Nach derselben führte der Leichenzug über die schwierige Stiege herab durch den Park in die Gruft. Zu beiden Seiten des Weges waren bei 700 herrliche Kränze aufgestellt (von allen Potentaten Europas, Japan, Ägypten, etc., vielen Regimentern, Adelsfamilien, Städten, etc.).

Vor den Särgen gingen viele Priester und der Sängerchor des Fürstlich Löwenburg’schen Konviktes in Wien, nach denselben die allseitig bemitleideten Kinder der Gemordeten und die große Zahl vornehmster Trauergäste.

Nach der Trauerfeier hab ich gestern das hier niedergeschrieben:

Wer zählt die Völker, nennt die Namen,
Die trauernd hier zusammen kamen?
Von Ungarn her, vom Baierland,
Und von dem fernen Nordseestrand,
Von Spree-Athen, der grünen Mark
Erschienen Männer, fromm und stark.
Und Schweiz und Mostar senden Trauerboten
Zu den gefall’nen teuren Toten.
Es wallen Kirchenfürsten, Äbte stumm
Zum neuen vaterländ’schen Heiligtum.
Ein Heer von Priestern, Offizieren und Soldaten
Ehrt nun der Toten hehre Taten. – – –

In Verbundenheit!
Euer Wilhelm Groß

Quellenangaben für diese Nachricht:
Lebenslauf Wilhelm Groß